Privatheit in der digitalen Gesellschaft
Eröffnungsveranstaltung zur zweiten Förderperiode am 26. Januar 2017
Das DFG-Graduiertenkolleg 1681/2 »Privatheit und Digitalisierung« leitete mit der Eröffnungsfeier »Privatheit in der digitalen Gesellschaft« am 26. Januar 2017 die zweite Förderperiode des Kollegs feierlich ein. Gerahmt durch thematische Einführungen der Kollegiatinnen und Kollegiaten in die Arbeitsbereiche der zweiten Förderphase wurden instruktive wissenschaftliche Vorträge von hochkarätigen Gästen gehalten. Zudem gaben die beiden Sprecher des Kollegs, Prof. Dr. Dirk Heckmann und Prof. Dr. Hans Krah, einen inhaltlichen Rückblick auf die erste Förderphase sowie einen Ausblick auf die zukünftige Forschungsrichtung.
Eingeleitet wurde die Veranstaltung durch eine Begrüßung von Universitätspräsidentin Prof. Dr. Carola Jungwirth, die dem Kolleg für seinen besonderen Erfolg dankte und gespannt auf die neue Förderperiode blicke. Dabei betonte sie, dass bei einer relativ kleinen Universität Interdisziplinarität umso wichtiger und wertvoller würde, gerade auch um bedeutende Projekte wie die des Graduiertenkollegs realisieren zu können.
Anschließend gab Prof. Dr. Hans Krah einen Einblick in die erste Forschungsphase des Kollegs und konzentrierte sich dabei besonders auf die Forschungsergebnisse, die bereits in den einzelnen Arbeitsbereichen der ersten Periode erzielt wurden. Hierbei wurde deutlich, welche zentralen Ergebnisse das Kolleg bereits zu einer integrativen Theorie der Privatheit beisteuern konnte: Privatheit sei ein multidimensionales, polykontexturales Konstrukt sowie eine soziale und relationale Kategorie, die sich innerhalb und durch Medien reproduziere. Zudem sei Privatheit alltagsbestimmend und erfahre insbesondere durch den Einfluss der digitalen Medien eine neue Gefährdung. Gerade durch die wirtschaftliche Nutzung von Daten erhalte Privatheit einen neuen ökonomischen Wert, weswegen die Fokussierung auf Digitalität in der neuen Forschungsperiode nur eine logische Schlussfolgerung darstelle. Damit übergab Krah das Wort an den aktuellen Sprecher des Kollegs, Prof. Dr. Dirk Heckmann, welcher seinen Vortrag mit den Worten einleitete, dass die Interdisziplinarität der besondere Reiz und Erfolgsgarant des Kollegs sei. Hierfür führte er u.a. das Beispiel der Privatheit auf Ebene der Bürgerinnen und Bürger an: Diese gäben ständig Daten durch die Nutzung des Internets preis. Die Frage, die sich hierbei stelle, sei, ob es etwa eine ›Privatheit wider Willen‹ (so der Titel einer bereits fertig gestellten Dissertationsschrift der ehemaligen Kollegiatin Dr. Barbara Sandfuchs) geben müsse? Fragen der Selbstbestimmung seien gerade auf philosophischer oder medienwissenschaftlicher Ebene aber nicht nur von Juristinnen und Juristen zu beantworten – hier bedürfe es der Expertise der philosophischen Fakultät, um das Feld für juristische Regelungen zu ebnen, so Heckmann.
Gerahmt wurde die Veranstaltung aber nicht nur von den Sprechern des Kollegs, sondern auch von den Kollegiatinnen und Kollegiaten, die die einzelnen Referenten einführten, gleichzeitig den inhaltlichen Überblick über das Kolleg vertieften und den Blick für die einzelnen Arbeitsbereiche und deren Bedeutung für Privatheit und Digitalisierung schärften.
Thematisch wurde die Veranstaltung mit einer Keynote (vorgelesen von Prof. Dr. Tobias Keber) von dem leider erkrankten Prof. Dr. Rafael Capurro eingeleitet, der zum Thema »Privatheit und Öffentlichkeit in der Cyberwelt aus ethischer Sicht« referierte. Laut Capurro finde ein Strukturwandel der Privatheit statt. Um diesen in der Cyberwelt fassbar machen zu können, verortete er Privatheit entlang der »Differenz zwischen Selbst und Ding, oder wer und was«. Eine solche Ontologie bilde den Rahmen für das Denken über Privatheit, Identität und Freiheit im Zeitalter des Internets. Die größte Gefahr der Privatheit sei es, so Capurro, dass ein in der Welt existierendes Selbst einem objektiven Datenbündel angeglichen würde, welches durch data mining verarbeitet werden könne und somit individuelles und kollektives Verhalten berechenbar mache.
Jan Philipp Albrecht, MdEP und Berichterstatter für die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO), sendete eine Videobotschaft aus dem EU-Parlament in Brüssel. Für ihn sei die EU-DSGVO ein Meilenstein in der Entwicklung des Datenschutzrechts und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Endlich gebe es, gemäß dem Marktortprinzip, einheitliche globale Standards und Regeln – ein großer Schritt in Richtung Rechtssicherheit. Doch auch Albrecht sah noch Lücken, denn ethische Grenzen würden in unserer digitalisierten Gesellschaft immer deutlicher. Als Beispiel nannte Albrecht die oft in diesem Zusammenhang angeführten Prämien von Krankenversicherungen. Durch riesige Datensätze würden solche mit einem Analysemodell berechnet. Dies seien teils zwar durchaus gerechtfertigte Entscheidungen. Nur, so hinterfragte er kritisch, wolle man in einer Gesellschaft leben, in der Entscheidungen ausschließlich aufgrund einer gewissen Datenbasis getroffen werden?
Es folgte ein Vortrag von Prof. Dr. Michael Bartsch, der sich auf das Werk »Geschichte des privaten Lebens« von Philippe Ariès und Georges Duby stützte, um zum Thema »Privatheit früher und heute – eine Zeitreise« zu referieren. Beginnend mit dem Mittelalter zeichnete Bartsch die Entwicklung von Privatheit nach, immer eng verknüpft mit dem Verständnis, dass Privatheit ein Luxusgut sei. Besonders stützte er sich in seinem Vortrag auf die Wohnverhältnisse, welche als Gradmesser für Privatheit dienten. Am Ende seiner Zeitreise kam Bartsch zu dem Schluss, dass Privatheit in vier Aspekte unterteilbar sei: Privatheit als philosophisch-soziologisches Konzept, Privatheit als Wohlstandswert, Privatheit in Abhängigkeit von Technik (Technik ermögliche Privatheit, gefährde diese aber gleichzeitig) und Privatheit in Abhängigkeit von einflussreichen Mächten.
Um die juristische Perspektive auf Privatheit noch zu vertiefen, trug Prof. Dr. Tobias Keber anschließend über »Stützen der Informationsgesellschaft – Zur Rolle von Datenschutz und Datensicherheit im Mediensystem« vor. In seinem Vortrag erörterte Keber, was dem Datenschutz noch fehle. Ein Problem sei beispielsweise, dass es lediglich eine Eingrenzung und keine Definition gebe, was unter Daten überhaupt zu verstehen sei. Grundsätzlich sei zwischen Daten und Information zu unterscheiden, wobei Keber Informationen als interpretierte Daten verstand. Auch müsse man sich die Frage nach dem Dateneigentum stellen und was dies je nach Definition für das Mediensystem bedeute. Als eine Frage, die zentral in diesem Zusammenhang sei, ging er auf die Problematik ein, ob Dateneigentum nur auf personenbezogene Daten beschränkt werden sollte oder wo die Grenzen der Definition liegen. Ein Problem sei dabei immer, dass Dateneigentum zu Informationsbeherrschung führen könne, wobei dies dann natürlich Auswirkungen auf das Mediensystem hätte.
Die Veranstaltung schloss Dr. Tobias Matzner mit seinem Vortrag zu »Der Wert des Privaten jenseits von Autonomie«, in dem er die Wertreduktion von Privatheit auf Autonomie (wie sie beispielsweise bei Beate Rössler vorgenommen wird) kritisierte. Matzner startete in seinem Vortrag den Versuch, Privatheit und Autonomie voneinander zu entkoppeln. Autonomie sei in Zeiten der Digitalisierung weniger gegeben, da bestimmte Anwendungen nicht mehr verstanden würden und deren Auswirkungen nicht voraussehbar für die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer wären. Zudem, so Matzner, wollten Menschen nicht durchgängig autonom sein, einen Beweis hierfür sah er in der Datenpreisgabe über Facebook. Die Menschen wollten partielle Fremdbestimmung, um ihre eigene Identität zu entwickeln und solche Phänomene müssten in eine Bestimmung des Werts der Privatheit mit einbezogen werden.
Das Kolleg bedankt sich bei allen, die zum Erfolg der ersten Forschungsperiode und somit auch zur Bewilligung einer zweiten Förderperiode beigetragen haben und blickt gespannt auf die nächsten viereinhalb Jahre. Wir hoffen, dass die Forschung und die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten weiterhin so erfolgreich und fruchtbar bleiben.