Privatheit & Gender
Interdisziplinäres Forschungssymposium (27.06.14)
Mit dem interdisziplinären Forschungssymposium "Privatheit & Gender", welches am 27. Juni 2014 stattfand, richteten sich das DFG-Graduiertenkolleg 1681 "Privatheit" und das Frauenbüro der Universität Passau neben der allgemeinen Öffentlichkeit an interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie alle Studierenden und Promovierenden der Universität Passau.
Ziel des Symposiums war es, den intra- und interfakultären Austausch über die Forschung zur Privatheit in Verbindung mit Gender-Themen zu stärken und darauf bezogene, aktuelle Projekte vorzustellen. Mit Philosophie, Kulturwissenschaften sowie Jura und Kriminologie wurden zentrale, wissenschaftliche Arbeitsbereiche aufgegriffen, in denen die Konzepte von 'Privatheit' und 'Gender' eine besonders wichtige Rolle spielen.
Der Flyer informiert Sie über die Vortragenden sowie die Titel ihrer Vorträge.
Eindrücke vom Symposium
Das Privatheit und Genderfragen untrennbar miteinander verbunden sind, hat eine interdisziplinäre Konferenz an der Universität Passau gezeigt. In der Bildergalerie sind ein paar Eindrücke für Sie festgehalten.
Abstracts der Vorträge
Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick zur Forschung zwischen möglichen Zusammenhängen zwischen Gender und Privatheit im Social Web. Bisherige Ergebnisse und Erklärungen werden diskutiert. Zudem wird eine rezente Studie vorgestellt, die im Rahmen des Pew Research Internet Projects, u.a. zum Thema Online-Privatheit durchgeführt wurde. Dabei wurde überwiegend nicht nach Gender differenziert. Die Befragung wurde adaptiert, erweitert und weiterentwickelt zu einer eigenen empirischen Erhebung, die vorgestellt wird und von der erste Ergebnisse präsentiert werden sollen. Dies bringt gleichzeitig einen kulturvergleichenden Aspekt in die Untersuchung mit ein. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen die Fragen, ob es geschlechtstypisches Nutzerverhalten und Kommunikationsthemen sowie -formen gibt bzw. welche diese in verschiedenen Kontexten sind und wie sich die Befunde erklären lassen. Berücksichtigt werden auch mit der Kommunikation im Social Web verbundene Gefahren wie (Cyber-)Stalking und -bullying sowie sich ableitende Konsequenzen für künftige Social Web-Systeme. Eine Hypothese, die in dem Beitrag geprüft werden soll, ist, dass Frauen tendenziell mehr ihre informationelle Privatheit schützen, Männer hingegen ihre dezisionale Privatheit.
Die bürgerliche Familie als das „innere Außen“ der bürgerlichen Gesellschaft war gleichzeitig ihr Widerlager und ihre Reproduktionsanstalt. Die historisch letzte Festschreibung des bürgerlichen Modells geschieht im Fordismus. Die postfordistische Transformation entbirgt aktuell eine „Gesellschaft der Singularität“ als die entfesselte Konkurrenzgesellschaft der singulären Individuen. Der Verschlankung des Staates auf der einen Seite entspricht die „Landnahme“ im Privaten auf der anderen. Die Privatisierung des Privaten vollzieht sich mit der Kommodifizierung ehemals häuslich-familialer Belange und Beziehungen einerseits und mit der individualisierten Zuweisung ehemals staatlicher Zuständigkeiten andererseits. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen worin aktuell die Funktionen einer veränderten Geschlechter- und Familienordnung liegen und welchen neuen Zuschnitt das Verhältnis von Familie und bürgerlicher Gesellschaft annimmt.
Eher beiläufig wird England in der Geschichte des privaten Lebens (1985-1987) von Philippe Ariès als die Wiege der Privatheit bezeichnet. Die Relevanz der Privatheitsdiskurses im anglo-amerikanischen Kulturraum lässt sich auch an zentralen Quellen zum Forschungskomplex aufzeigen wie z.B. John Ruskins Vortrag zum Separate Spheres Modell (1864) oder Virginia Woolfs Essay A Room of One’s Own (1929). Beide fokussieren räumliche Geschlechterkonstruktionen des Privaten, in welchen die Definition von Weiblichkeit und Männlichkeit ihre räumliche Entsprechung in der Trennung von Privatsphäre und Öffentlichkeit findet, respektive in genderrelevante Gegensätze wie häuslich-politisch, Herz-Verstand, Gefühl-Intellekt, Reproduktion-Produktion, Natur-Kultur, Land-Stadt eingeschrieben wird. Die öffentlichen Hauptschauplätze der Metropole (Parks, Gehwege, Kaffeehäuser, Hotels, Theater) sowie die essentiellen Realitäten des Urbanen (Heterogenität, Dichte, Masse, Kollektivität) scheinen Privatheit, und damit alles Weibliche, zunächst auszuschließen. Im 19. Jahrhundert sind Frauen in der öffentlichen Sphäre der Stadt primär ein Zeichen für Armut, Prostitution oder die Suffragettenbewegung. Seit den 1950er Jahren manifestiert sich die urbane Geschlechtertrennung zunehmend in der Aufteilung zwischen Wohngebiet (Peripherie, Vorort) und Arbeitsplatz (Zentrum, Stadt). Die Ambivalenz von public/private nimmt insgesamt eine zentrale Rolle in der urban-generischen Großstadtrealität ein und erfüllt dabei wichtige physische, soziale und mentale Ordnungs- und Orientierungsfunktionen. Dieser Vortrag soll zeigen, wie in zeitgenössischer, englischsprachiger Stadtliteratur Repräsentationen von öffentlich und privat als Vigilanz und Apathie bzw. Bewegung und Stagnation gedeutet werden. Die vergleichende Analyse zweier Londonromane anhand von Geschlechterkonstruktionen des Privaten wird herausstellen, dass die Metropole einerseits als Raum weiblicher Emanzipation und andererseits als Sinnbild für die Krise von Männlichkeit entworfen wird. Insofern ist es Ziel des Vortrags, zunächst Untersuchungen zum Themenkomplex „Privatheit und Gender“ in der Fachdisziplin der Anglistik zu verorten, in weiterer Folge aktuelle geschlechterspezifische Konstruktionen und Transformationen von Privatheit anhand von Literatur offenzulegen, um interdisziplinäre Anknüpfungspunkte der englischen Kultur- und Literaturwissenschaft zu anderen Wissenschaftsbereichen aufzeigen zu können.
Der öffentliche Blick auf und die rechtliche Behandlung von Homosexualität haben sich in den letzten gut 50 Jahren grundlegend geändert und Einfluss auf lesbische und schwule Identitätsmodelle. Dominierte lange der Versuch, Akzeptanz über Assimilation und die strikte Trennung von privater und öffentlicher Sphäre zu erreichen, wurde das öffentliche Bekenntnis zur homosexuellen Identität in der Homo-Befreiungs- und Frauenbewegung der 1970er Jahre nicht mehr als Privatangelegenheit, sondern als politischer Akt verstanden. Die empirische Betrachtung von lesbischen und schwulen Identitäten zeigt deren Pluralität, auch im Verständnis der eigenen Homosexualität als „privat-sexuell bzw. -emotional“ oder „öffentlich-politisch“. Entsprechende Identitätskonzepte beeinflussen dabei räumlich beeinflusste Identitätsmanagementstrategien, also die Frage, wie mit der Information über die eigene Homosexualität umgegangen wird. Unterschiede zwischen Lesben und Schwulen zeigen sich insbesondere durch den Einfluss der zweiten Frauenbewegung und des Slogans „Das Private ist politisch“.
Privatheit und Geschlecht sind Aspekte der Alltagsorganisation, die sich oft unmerklich überlappen, manchmal aber auch wie „Bedingungsfaktoren“ verhandelt werden – ganz so, als gäbe es spezifisch männliche oder weibliche Usancen der Trennung bzw. Verbindung von Privatsphäre und Öffentlichkeit. Während sich hinter solchen Konzepten häufig genug Simplifizierungen der Alltagskomplexität verbergen, drängt sich in bestimmten sozialen Räumen die Frage auf, ob und inwiefern das Geschlecht die Einrichtung von „veröffentlichter Privatheit“ tatsächlich beeinflusst. Ein solcher Raum ist das Laufhaus, eine Vergnügungsstätte in Rotlichtdistrikten, in der Frauen sexuelle Dienstleistungen für Männer anbieten. Anders als in traditionellen Bordellbetrieben treten Kundschaft und Anbieter offen füreinander in Erscheinung, d.h. es gibt keinen diskreten Rückzugsraum für die Kommunikation und spezifische Gruppendynamiken bestimmen die Szenerie, bevor es schließlich (wenn überhaupt) hinter verschlossenen Türen zu sexuellen Handlungen kommt. Das Laufhaus ist ein Ort sowohl der Bestätigung wie auch der Hinterfragung von Gender-Mustern – die dort vorherrschende „künstliche Privatheit“ stellt eine Herausforderungan die beteiligten Akteure dar, Vorstellungen von Intimität, Geschlecht, Diskretionund Begehren situativ neu zu justieren. Diese Thematik soll vor dem Hintergrund eigener ethnografischer Forschung im Frankfurter Bahnhofsviertel nachgezeichnet werden.