Zukunft ohne Privatheit? Herausforderungen für Gesellschaft und Politik
Vorlesungsreihe im Sommersemester 2015
Im Sommersemester 2015 fand an der Universität Passau eine vom Graduiertenkolleg organisierte und hochkarätig besetzte Vortragsreihe mit dem Titel 'Zukunft ohne Privatheit? Herausforderungen für Gesellschaft und Politik' statt. In enger Zusammenarbeit zwischen den Promovierenden und dem Professorium wurde ein Konzept erstellt, in dem möglichst viele der aktuell am Kolleg bearbeiteten Themen auf fundierte Weise vorgestellt und diskutiert wurden:
- Dimensionen, Kategorien und Aspekte der Privatheit,
- Notwendigkeiten und Grenzen einer digitalen Ethik,
- Intimität, Liebe und Privatheit,
- Anonymität und Privatheit und
- Autonomie und Privatheit in politischen Systemen.
Mit das wichtigste Ziel der Reihe war es nicht nur, international bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik in die Dreiflüssestadt einzuladen, sondern auch der Öffentlichkeit Einblicke in wichtige Problembereiche der Privatheitsforschung zu gewähren.
Das Programm und ausführliche Informationen zur Veranstaltung finden Sie in unserem Flyer.
Programm
Datum | Themenbereich | Vortragstitel | Referenten |
---|---|---|---|
Montag, 20.04.2015 | Dimensionen, Kategorien und Aspekte der Privatheit | Die Zukunft der Privatheit | Prof. Dr. Marion Albers |
Donnerstag, 07.05.2015 | Privatheit.com: Notwendigkeiten & Grenzen einer digitalen Ethik | Der Wert des Privaten aus Sicht der digitalen Ethik | Prof. Dr. Petra Grimm |
Privacy 4.0: Neue Paradigmen für Privatheit und Transparenz in einer Digitalen Welt | Prof. Dr. Sabine Jeschke | ||
Montag, 01.06.2015 | Intimität und Privatheit | Intimisierung und Rationalisierung der Privatheit: Zum Bedeutungswandel von Liebesverhältnissen | Prof. Dr. Günter Burkart |
Privatheit und neue Medien: SMS & Co. als Intimitätsgeneratoren? | Prof. Dr. Kornelia Hahn | ||
Montag, 08.06.2015 | Anonymität und Privatheit | Das sogenannte Recht auf Vergessenwerden im Spannungsfeld von Privatsphäre und Meinungsfreiheit | Sabine Leutheusser-Schnarrenberger |
Montag, 06.07.2015 | Autonomie, Privatheit, Politik I | Autonomie und Privatheit in politischen Systemen | Dr. Wilfried Bernhardt |
Montag, 13.07.2015 | Autonomie, Privatheit, Politik II | Offenbarung und Kontrolle. Zur sozialen Dynamik des Privaten | Prof. Dr. Sandra Seubert |
Prof. Dr. Marion Albers (Universität Hamburg): »Die Zukunft der Privatheit«
Zum Thema: Wenn man gefragt wird, was „Privatheit“ bedeutet, wird jeder darauf eine Antwort haben – die jeweils etwas unterschiedlich ausfallen wird. Privatheit ist allgegenwärtig – ohne sie könnte unsere Gesellschaft nicht das sein, was sie heute ist. Zugleich jedoch ist der Begriff schillernd und offen, hat sich über die Jahrhunderte radikal gewandelt. (Dass sich Privatheit just in der heutigen Zeit stark verändert, dürfte inzwischen allen aufgefallen sein.) Zudem unterscheidet sich der Begriff stark je nachdem, ob. z.B. ein Philosoph oder ein Jurist ihn zu bestimmen trachtet. Es ist jedoch dringend notwendig, ihn klar zu fassen, denn erst dann lässt sich näher analysieren, welche Bereiche der Lebenswelt betroffen sind, wenn uns unsere Privatheit abhandenkommt. Die aktuellen juristischen Grundlagen und Ausgangspunkte dieser Analyse zu erläutern, um die gegenwärtigen (und zukünftigen) Transformationen von Privatheit zu erfassen, ist das Ziel des Vortrags.
Prof. Dr. Marion Albers ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Informations- und Kommunikationsrecht, Gesundheitsrecht und Rechtstheorie an der Universität Hamburg. Eines ihrer Forschungsfelder bezieht sich auf das Kommunikations- und Informationsrecht, insbesondere Datenschutz-, Informationszugangs- und Internetrecht. Frau Prof. Dr. Albers hat bereits mehrere Publikationen zu Daten- und Privatheitsschutz veröffentlicht.
Prof. Dr. Petra Grimm (Hochschule der Medien, Stuttgart): »Der Wert des Privaten aus Sicht der digitalen Ethik«
Prof. Dr. Sabina Jeschke (RWTH Aachen University): »Privacy 4.0: Neue Paradigmen für Privatheit und Transparenz in einer Digitalen Welt«
Zum Thema: Mit digitalen Technologien werden permanent Daten erzeugt, dauerhaft gespeichert und aggregiert; potenziell ist hier jede Daten-Einheit öffentlich und bleibt auf Privates rückführbar. In Hinblick auf Privatheitsdiskurse stellt sich damit die Frage, ob es im Internet überhaupt noch Kontexte geben kann, welche als privat anzusehen sind, bzw. inwiefern hier neue Arten von Zwischen- oder Hybridräumen hergestellt werden. So wird im Zusammenhang mit digitalen Datenpraktiken z.B. eine Post-Privacy-Gesellschaft proklamiert, in der Privatsphäre ein Auslaufmodell darstellt. Dem gegenüber stehen konservative Ansätze, die darauf beharren, dass der digitale Wandel keine Bedrohung für Privatheit darstellen dürfe. Das Problem, das hiermit entsteht, ist ein im Kern ethisches: Wie kann man das positive Potenzial der neuen digitalen Gesellschaft fruchtbar machen, ohne dabei den Wert des Privaten auszuhöhlen?
Prof. Dr. Petra Grimm ist Professorin an der Hochschule der Medien in Stuttgart und Leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE) und setzt einen Arbeitsschwerpunkt in Gewalt in und via Medien, Handy- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen, Medienethik, Privatheit und Medien. Zu dem Thema Privatheit hat sie bereits mehrere Werke veröffentlicht.
Prof. Dr. Sabina Jeschke ist Direktorin des Institutscluster IMA/ZLW & IfU der RWTH Aachen University und wurde im Juli 2014 von der Gesellschaft für Informatik (GI) mit der Auszeichnung Deutschlands digitale Köpfe geehrt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Komplexe IT-Systeme (z.B. Cloud Computing, Internet of Things, Green IT & ET, Semantic Web Services) und Virtuelle Welten für Forschungskooperationen (z.B. Virtuelle & Remote Labour, Intelligente Assistenten, Semantische Kodierung von Fachinhalten).
Prof. Dr. Günter Burkart (Leuphana Universität Lüneburg): »Intimisierung und Rationalisierung der Privatheit: Zum Bedeutungswandel von Liebesverhältnissen«
Prof. Dr. Kornelia Hahn (Universität Salzburg): »Privatheit und neue Medien: SMS & Co. als Intimitätsgeneratoren?«
Zum Thema: In seinem umgangssprachlichen Gebrauch dient der Begriff ‚Intimität‘ sowohl als Synonym für Privatheit als auch dazu, alle emotionalen und affektiven Beziehungen zwischen Menschen zu beschreiben. Hierdurch entsteht eine terminologische Unschärfe oder zumindest fehlende Differenzierung beider Begriffe. Wie also unterscheiden sich Intimität und Privatheit, wo wirken sie zusammen und wo verschmelzen sie? Wenn z.B. ein Liebesbrief eines lange verstorbenen Schriftstellers zusammen mit seiner Korrespondenz erscheint, ist er nicht mehr privat, was aber seiner ursprünglichen Intimität keinen Abbruch tut. Und wie verhält es sich hingegen z.B. mit einer Nachricht bei Facebook? Und muss unser Konzept von Liebe sich wandeln, wenn sich unsere Vorstellung von Privatheit verändert?
Prof. Dr. Günter Burkart ist Professor für Kultursoziologie am Institut für Soziologie und Kulturorganisation an der Leuphana Universität Lüneburg. Sein Schwerpunkt liegt u.a. in Medien und Kultur. Zu seinem Schwerpunkt Technik und Kultur gehört es, das Verhältnis von Mensch und Technik zu untersuchen, d.h. wie der Mensch Technik in seinen Alltag akzeptiert und integriert. Hierzu forscht er aktuell zu dem Thema Technik im Alltag.
Prof. Dr. Kornelia Hahn ist Professorin für Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie am Fachbereich für Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Salzburg. Ihre Veröffentlichungen beziehen sich unter anderem auf das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit und ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte beziehen sich auf die Entwicklung einer soziologischen Theorie zu fortgeschrittenen Medienkulturen; die Untersuchung von face-to-face Interaktion in Medienkulturen und Methoden der Kulturanalyse visueller Daten. Frau Prof. Dr. Hahn hat im Jahre 1999 den Preis für herausragende wissenschaftliche Vortragstätigkeit und im Jahre 2002 den Preis für herausragende wissenschaftliche Publikationstätigkeit von der Leuphana Universität Lüneburg erhalten.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Bundesministerin der Justiz a.D.): »Das sogenannte Recht auf Vergessenwerden im Spannungsfeld von Privatsphäre und Meinungsfreiheit«
Zum Thema: Sowohl im täglichen Sprachgebrauch als auch in wissenschaftlichen Fachdiskursen wird der Begriff der Anonymität in der Regel ‚irgendwie‘ mit dem Bereich der Privatheit in Zusammenhang gebracht. Doch inwiefern stehen die beiden Konzepte in Beziehung zueinander bzw. wie lassen sie sich voneinander abgrenzen? Manche sehen in der Anonymität eine besondere Domäne der Privatheit, einen besonders starken Schutz derselben. Für andere hingegen ist Anonymität auch eine Bedrohung, von der aus die Privatheit und Integrität von Menschen und Institutionen angegriffen werden kann – sowohl mit guten als auch mit schlechten Absichten, wie z.B. an den Diskussionen um das Hacker-Kollektiv ‚Anonymous‘ immer wieder verdeutlicht wird. Oder ist Anonymität ein ganz eigenes Phänomen, das grundsätzlich von Privatheit zu differenzieren ist?
Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, die ehemalige Bundesministerin der Justiz, engagiert sich für Menschen- und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter. Sie setzt sich für die Privatsphäre, den Schutz der persönlichen Daten und die Persönlichkeitsrechte ein. So kämpft sie z.B. gegen eine flächendeckende Vorratsdatenspeicherung und hat sich für das Recht auf Vergessen als Mitglied des Google-Beirats eingesetzt.
Dr. Wilfried Bernhardt (Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa a.D.): »Autonomie und Privatheit in politischen Systemen«
Zum Thema: Wie definieren sich freiheitlich-demokratische Gesellschaftssysteme? Vor allem dadurch, dass die Menschen darin gleich, allgemein, frei und nach eigenem Gewissen die Organe der Macht mitbestimmen können. ‚Nach eigenem Gewissen‘ heißt hier insbesondere auch, dass die Menschen autonome Bürger sein müssen, wobei zwischen Autonomie und Privatheit eine enge Verbindung besteht. Und genau hier fangen die Probleme an, die schon sehr lange Gegenstand der Diskussion sind: Bis zu welchem Grad muss der eigenständige Entscheidungsraum der Bürger geschützt werden? Und wann darf ein Staat zum Wohle Vieler in diesen eingreifen? Ist der demokratische Staat verpflichtet, seine Bürger zur Demokratie zu erziehen, oder sind sie nicht mehr frei und autonom, wenn dies geschieht? Der Themenbereich von Privatheit und Autonomie ist aus dieser Perspektive als ein Prüfstein für alle Arten von politischen Systemen zu begreifen.
Dr. Wilfried Bernhardt war Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa. Seine Arbeitsschwerpunkte konzentrierten sich auf den Einsatz der Informationstechnologie sowie E-Justice und E-Government. Er ist Stellvertretender Vorsitzender des Nationalen E-Government- Kompetenzzentrums e.V. und Lehrbeauftragter für IT-Recht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig.
Prof. Dr. Sandra Seubert (Goethe-Universität Frankfurt/M.): »Offenbarung und Kontrolle. Zur sozialen Dynamik des Privaten«
Zum Thema: Wie definieren sich freiheitlich-demokratische Gesellschaftssysteme? Vor allem dadurch, dass die Menschen darin gleich, allgemein, frei und nach eigenem Gewissen die Organe der Macht mitbestimmen können. ‚Nach eigenem Gewissen‘ heißt hier insbesondere auch, dass die Menschen autonome Bürger sein müssen, wobei zwischen Autonomie und Privatheit eine enge Verbindung besteht. Und genau hier fangen die Probleme an, die schon sehr lange Gegenstand der Diskussion sind: Bis zu welchem Grad muss der eigenständige Entscheidungsraum der Bürger geschützt werden? Und wann darf ein Staat zum Wohle Vieler in diesen eingreifen? Ist der demokratische Staat verpflichtet, seine Bürger zur Demokratie zu erziehen, oder sind sie nicht mehr frei und autonom, wenn dies geschieht? Der Themenbereich von Privatheit und Autonomie ist aus dieser Perspektive als ein Prüfstein für alle Arten von politischen Systemen zu begreifen.
Prof. Dr. Sandra Seubert ist Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt/M. für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie an der Goethe-Universität. Sie hielt ihren Habilitationsvortrag zu dem Thema „Was interessiert uns am Privaten? Probleme liberaler Selbstbeschränkung“ und setzt ihr Forschungsinteresse u.a. in die Politische Theorie der Privatheit und hat hierzu zahlreiche Publikationen veröffentlicht.